Corona & Informationsfreiheit
© geralt / pixabay.com
Bürgerinnen und Bürger können auf Informationszugang gerichtete Anträge mit inhaltlichem Bezug zur Corona-Pandemie stellen. An dieser Stelle finden Sie einen Überblick über mögliche Anfragen, die damit verbundenen Problemstellungen und die rechtliche Einordnung entsprechender Anträge.
Anfragen zu Informationen betreffend Verstöße gegen die Corona-Bekämpfungsverordnung
Denkbar sind Anfragen an Ordnungsbehörden zu Verstößen gegen die Corona-Bekämpfungsverordnung (CoBeLVO). Beispielsweise könnten die Ordnungsbehörden zu einzelnen auf Grund von Verstößen gegen § 12 CoBeLVO i.V.m. dem 15. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes eingeleiteten Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren angefragt werden. Eine solche Anfrage an eine Ordnungsbehörde könnte bspw. lauten: „Gegen welche Restaurants hat Ihre Behörde ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet, weil diese über den in § 1 Abs. 1 Nr. 2 CoBeLVO erlaubten Umfang hinaus geöffnet hatten?“ oder „Gegen welche Personen hat Ihre Behörde aufgrund der Annahme von unerlaubten Ansammlungen nach § 4 CoBeLVO ein Bußgeld nach § 12 CoBeLVO i.V.m. § 73 Abs. 2 Infektionsschutzgesetz verhängt?“.
Bei solchen Anfragen ist zunächst zu prüfen, ob die Regelungen zur Auskunft nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) dem Landestransparenzgesetz nach § 2 Abs. 3 LTranspG als besondere Rechtsvorschriften vorgehen. Dies ist grundsätzlich der Fall, außer das Auskunftsbegehren bezieht sich allein auf verfahrensübergreifende Merkmale und ist nicht auf personenbezogene Daten Dritter gerichtet. Dies wäre bspw. der Fall, wenn lediglich nach der Anzahl von OWiG-Verfahren oder Verstößen gefragt wird. Im Anwendungsbereich des LTranspG ist zudem die teilweise Bereichsausnahme für Strafverfolgungs- und Strafvollstreckungsbehörden in § 3 Abs. 4 LTranspG und bei laufenden OWiG- oder Strafverfahren sind die in § 14 Abs. 1 Nr. 2 LTranspG geregelten entgegenstehenden Belange zu beachten.
Ist das OWiG vorrangig anzuwenden, regelt § 475 StPO den Umfang des Auskunftsrechts von Dritten (Privatpersonen und sonstigen Stellen, nicht des Betroffenen selbst). Die Vorschrift gilt gemäß § 46 Abs. 1, § 49b OWiG für das Bußgeldverfahren sinngemäß. Nach § 475 Abs. 1 StPO können Privatpersonen und sonstige Stellen Auskünfte aus Akten erhalten, soweit sie hierfür ein berechtigtes Interesse darlegen.
Als berechtigtes Interesse gelten alle nachvollziehbar durch die Sachlage gerechtfertigten Interessen tatsächlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, sofern die Rechtsordnung ihnen nicht in Form eines Verbotes die Anerkennung versagt. Es muss also nicht der Grad des rechtlichen Interesses erreicht sein. Ein Beispiel ist die Verfolgung oder Abwehr rechtlicher Ansprüche, die Norm ist aber nicht hierauf beschränkt.
Denkbar wäre bspw., dass gegen den Anfragenden selbst ein OWiG-Verfahren aufgrund eines Verstoßes gegen die CoBeLVO i.V.m. dem Infektionsschutzgesetz geführt wird und er sich auf ein ähnliches Verfahren im Rahmen seiner Verteidigung berufen will, wozu er dessen Akteninhalt benötigt. Ein Zeuge hat ohne besondere Umstände kein berechtigtes Interesse i.S.d. Norm, insbesondere nicht daran, die Aussagen anderer Zeugen zu kennen. Die Darlegung erfordert einen schlüssigen Tatsachenvortrag, der Grund und Intensität des Auskunftsinteresses erkennen lässt, und damit weniger als die Glaubhaftmachung. Formelhafte Behauptungen sind hierfür nicht ausreichend, vielmehr ist im Einzelnen darzulegen, warum und wofür die Auskunft verlangt wird. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller den Akteninhalt noch nicht kennt und seinen Nutzen daher nur prognostisch bewerten kann.
Auskünfte sind zu versagen, wenn der hiervon Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an der Versagung hat. Die Entscheidung ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen. Ist die Auskunft nach § 475 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1, § 49b OWiG zu versagen, kann diese dann auch nicht über das LTranspG beansprucht werden, da § 475 Abs. 1 StPO insoweit vorrangig und abschließend ist.
Anfragen zu Informationen im Zusammenhang mit Allgemeinverfügungen zur Bekämpfung des Coronavirus
Die Kommunen oder das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie (MSAGD) können zu Allgemeinverfügungen zur Bekämpfung des Coronavirus nach § 11 CoBeLVO angefragt werden (bspw. „Wurde in meiner Kommune eine Allgemeinverfügung erlassen? Mit welchem Inhalt?“). Solche Allgemeinverfügungen können die Kommunen im Einvernehmen mit dem MSAGD erlassen. Entgegenstehende Belange sind bei einem solchen Antrag nach Inkrafttreten der jeweiligen Allgemeinverfügung (Abschluss des Willensbildungsprozesses) nicht erkennbar, so dass der Informationszugang zu eröffnen ist.
Anfragen zu Informationen zu Infektionen, infizierten Personen, Unternehmen o.ä.
Denkbar sind auch Anfragen zu Infektionen. Das Infektionsschutzgesetz enthält in § 16 datenschutzrechtliche Vorgaben, jedoch kein Auskunftsrecht bzw. kein Recht auf Informationszugang. Daher sind Anfragen an Landesbehörden zu Infektionen und dem Infektionsschutz nach den Vorgaben des Landestransparenzgesetzes zu prüfen.
Als entgegenstehende Belange kommen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 LTranspG in Betracht, bspw. bei der Anfrage „Wie viele Beschäftigte des Unternehmens X sind infiziert?“. Eine solche Information könnte als Geschäftsgeheimnis nach § 5 Abs. 6 LTranspG zu qualifizieren sein: Die Information ist betriebsbezogen, nicht offenkundig und das Unternehmen hat einen Geheimhaltungswillen sowie je nach Einzelfall ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse. Das berechtigte Geheimhaltungsinteresse kann vorliegen, wenn bspw. im Fall des „Lahmliegens“ eines Unternehmens aufgrund von Quarantäne oder ähnlichen Maßnahmen ein Konkurrent diese Information für sein eigenes Marktverhalten ausnutzen kann.
Je nach Anfrage könnten durch den Informationszugang personenbezogene Daten Dritter offenbart werden (§ 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 LTranspG). Ob dies der Fall ist, hängt davon ab, ob die jeweilige Anfrage allgemein gehalten ist („Welcher Ortsteil ist am stärksten betroffen?“) oder auf eine oder mehrere identifizierbare Person/en gerichtet ist („Ist mein Nachbar infiziert?“), wobei der Übergang fließend ist (bspw. bei der Frage „Wie viele Personen in meiner Straße sind infiziert?“).
Da eine Einwilligung meist nicht vorliegen dürfte, laufen Anfragen bei entgegenstehenden Belangen nach § 16 Abs. 1 LTranspG auf ein Drittbeteiligungsverfahren (§ 16 Abs. 2 i.V.m. § 13 LTranspG) und infolgedessen auf eine Abwägungsentscheidung durch die informationspflichtige Stelle hinaus. Eine Ausnahme wäre im Fall von Personenbezug die Unkenntlichmachung, wenn diese möglich und vom Antragsteller gewünscht ist (§ 16 Abs. 1 S. 2 LTranspG, VV LTranspG Nr. 16.1.7).
Zumindest in Bezug auf die Anfragen zu bestimmten Personen, dürfte im Rahmen der Abwägung das öffentliche Informationsinteresse i.S.d. LTranspG in der Regel hinter den Interessen der infizierten Person zurücktreten, zumal es sich um besonders geschützte Gesundheitsdaten handelt (vgl. Art. 9 Abs. 1 DSGVO) und der Zugang zu diesen Informationen die Gefahr birgt, die betroffene Person erheblich zu stigmatisieren. Im Rahmen der Abwägung überwiegt das Interesse der Öffentlichkeit an den Informationen zu konkret infizierten Personen das Interesse des Einzelnen daher wohl regelmäßig nicht.
Anfragen auf Zugang zu Auswertungen, Gutachten und Erhebungen bzgl. der Corona-Infektionen
Fragen im Hinblick auf statistische Auswertungen und Erhebungen oder Gutachten bzgl. der Infektionen könnten etwa lauten:
- „Welcher Ortsteil ist am stärksten betroffen?“
- „Wie viele Personen befinden sich im Land/der Gemeinde aktuell in Quarantäne?“
- „Welche Altersstruktur weisen die Infizierten auf?“
- „Ist der Infektionsort/die Infektionsart bekannt, wenn ja, wo/welche Schwerpunkte sind auszumachen?“
Denkbar sind ebenso Fragen zu Gutachten, Prognosen und Analysen wie etwa:
- „Gibt es Gutachten bzgl. der Verbreitung/Risikoabschätzung bzw. ist eine Einsicht in diese Gutachten möglich?“, oder der Zugang zu entsprechenden Datenbanken wird angefordert.
Ein solcher Anspruch setzt grundsätzlich voraus, dass die transparenzpflichtige Stelle auch tatsächlich konkret über die angeforderten Erhebungen, Auswertungen, Gutachten etc. verfügt. Liegen solche nicht vor, umfasst der Anspruch keine Pflicht zur Informationsbeschaffung (vgl. VV-LTranspG, Nr. 4.2). Daraus folgt, dass nur die tatsächlich verfügbaren Informationen zugänglich zu machen sind. Liegen also beispielsweise Rohdaten vor, so können diese zwar vom Zugangsanspruch umfasst sein, ein Anspruch auf Auswertung oder Einordnung oder Begutachtung durch die transparenzpflichtige Stelle besteht jedoch zumindest im Rahmen des LTranspG nicht.
Als entgegenstehende Belange kommen insbesondere folgende in Betracht:
Personenbezogene Daten
Unter Umständen sind personenbezogene Daten betroffen (§ 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 LTranspG), sofern die Erhebungen etc. solche Daten enthalten oder Rückschlüsse erlauben.
Statistikgeheimnis
Hinsichtlich des Zugangs zu Statistiken ist im Rahmen der entgegenstehenden Belange das Statistikgeheimnis (§ 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 LTranspG) zu beachten. Danach hat ein Informationszugang zu unterbleiben, soweit die Informationen dem Statistikgeheimnis unterliegen. Demnach sind Einzelangaben über sachliche und persönliche Verhältnisse, die für eine Statistik gemacht werden, geheim zu halten (vgl. § 1 Abs. 2 S. 1 LStatG i.V.m. § 16 Abs. 1 S. 1 BStatG).
Rechte am geistigen Eigentum
Beim Zugang zu Gutachten, Analysen und auch Datenbanken kommen im Hinblick auf die entgegenstehenden Belange insbesondere Rechte am geistigen Eigentum (Urheberrecht) in Betracht (§ 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 1 LTranspG). So können umfangreiche Gutachten ggf. die nötige Schöpfungshöhe im Rahmen des Werkbegriffs als Werk der Wissenschaft (vgl. § 1 Var. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 7 UrhG) erreichen und damit schutzfähig sein. Insbesondere sollte im weiteren Verfahren darauf geachtet werden, dass/ob sich die Behörde entsprechende Nutzungsrechte hat einräumen lassen, welche diesen entgegenstehenden Belang ausräumen könnten.
Entsprechendes gilt auch für Datenbanken bzw. Sammelwerke (vgl. § 4 UrhG) oder etwa Details zu Risikoanalysen, welche ggf. mittels bestimmter Computerprogramme/Algorithmen erstellt werden. Auch hier kann der Zugang zum Programmcode/Algorithmus unter den Schutz des UrhG fallen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4 UrhG).
Geschäftsgeheimnisse
Sofern die erforderliche Schöpfungshöhe für einen urheberrechtlichen Schutz nicht erreicht sein sollte, liegen in der genauen Funktionsweise etwa eines Algorithmus oder in Details bzgl. eines Verfahrens zur Erstellung einer Analyse möglicherweise Geschäftsgeheimnisse.
Drittbeteiligungsverfahren, Abwägung, teilweiser Zugang:
Bezüglich der o.g. möglichen entgegenstehenden Belange wird im Hinblick auf das Drittbeteiligungsverfahren, dem Abwägungserfordernis und der möglichen Unkenntlichmachung entsprechender Daten auf die Ausführungen zu „Anfragen zu Informationen zu Infektionen, infizierten Personen, Unternehmen o.ä.“ (siehe oben) verwiesen.
Noch nicht aufbereitete Daten
Der Zugang zu Rohdaten bzgl. der Corona-Sachlage kann u.a. abzulehnen sein, soweit es sich um Material handelt, das gerade vervollständigt wird oder welches sich auf noch nicht aufbereitete Daten bezieht (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 11 Var. 1, Var. 3 LTranspG). Der Zugang ist jedoch nur dann zu verwehren, wenn die Aufbereitung objektiv erforderlich, beabsichtigt und möglich ist. Nicht aufbereitet im Sinne der Norm sind jedoch nur solche Daten, die inhaltlich unvollständig sind (vgl. VV-LTranspG, Nr. 14.1.2.11). Damit kann der Anspruch nicht schon mit dem bloßen Hinweis darauf abgelehnt werden, es handele sich um unbearbeitete Rohdaten. Bei der Zählung von Fällen sind Informationen zugänglich zu machen, wenn und soweit sie abgrenzbar sind, etwa durch Stichtagsangaben. Da sich der Anspruch nicht allein auf interpretierte oder ausgewertete Daten bezieht, kann auch ein Anspruch auf Zugang zu bloßen Rohdaten bestehen. Hinsichtlich des Verfahrens ist zu beachten, dass die Behörde, die sich auf diese Belange beruft, dem Antragssteller u.a. mitzuteilen hat, ob/wann die Informationen zugänglich gemacht werden können und welche Stelle das Material bearbeitet (vgl. § 12 Abs. 4 S. 3 und 4 LTranspG).
Anfragen zum weiteren Vorgehen der Behörde und zu geplanten Maßnahmen
Ein auf Informationen zum weiteren Vorgehen und geplanten Maßnahmen gerichteter Antrag ist ggf. abzulehnen, soweit es sich etwa um Informationen zum aktuellen behördlichen Entscheidungsprozess bzw. um interne Mitteilungen, Entwürfe zu Entscheidungen sowie Arbeiten und Beschlüsse zu ihrer unmittelbaren Vorbereitung handelt, soweit und solange durch die vorzeitige Bekanntgabe der Information der Erfolg der Entscheidung oder bevorstehender behördlicher Maßnahmen vereitelt würde, es sei denn, das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt; vereitelt würde der Erfolg einer Maßnahme, wenn sie nicht, anders oder wesentlich später zustande käme (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 1 LTranspG). Auch in diesem Fall läuft es im Ergebnis auf eine Abwägung des Informationsinteresses mit dem öffentlichen Interesse an der Bekanntgabe heraus. Soweit ausnahmsweise kein atypischer Fall vorliegt, ist ein Informationszugang daher i.d.R. abzulehnen. Oftmals werden derartige Anfragen durch eine Auskunft beantwortet werden können.